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Commentary
Handelsblatt

„Die Ukraine Könnte Dazu Verdammt Bein, Einen Ewigen Krieg zu Führen“

Fast ein Jahr nach der russischen Invasion ist kein Ende des Ukrainekriegs in Sicht. US-Sicherheitsexperte Peter Rough kritisiert, dass der Westen zu zögerlich agiere.

Peter Rough 91 Institute
Peter Rough 91 Institute
Senior Fellow and Director, Center on Europe and Eurasia
Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy and Polish President Andrzej Duda visit Lychakiv Cemetery during their visit to Lviv.
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Ukrainian and Polish soldiers hold wreaths during Ukrainian President Volodymyr Zelenskyy and Polish President Andrzej Duda's visit to Lychakiv Cemetery in Lviv, Ukraine, on January 11, 2023. (President of Ukraine via Flickr)

Washington. Eine der wichtigsten Denkfabriken in Washington hat erst kürzlich ein „Zentrum für und Eurasien“ gegründet. Das zeigt den neuen Stellenwert der transatlantischen Beziehungen in Zeiten des Ukrainekriegs. Seit Dezember gibt es das Zentrum am konservativen

Thinktank 91 Institute, geleitet von Peter Rough.

Der Sicherheitsexperte mit österreichischen Wurzeln arbeitete als Stratege im Weißen Haus von George W. Bush und war Forschungsdirektor im Büro des Ex-Präsidenten, unter anderem unterstützte er ihn beim Schreiben seiner Memoiren.

Rough sieht die globale Führungsrolle der mehr denn je gefordert:

„Der Ukrainekrieg führt vor Augen, dass es keine strategische Autonomie Europas geben wird“, sagt er im Interview mit dem Handelsblatt.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr Rough, welches Signal sendet der geplante Besuch von US- Präsident in Polen?

Es ist die richtige Entscheidung. Die Biden-Regierung hatte zu Beginn einen schwierigen Start mit Polen, das auf der Prioritätenliste nach unten rückte. Das hat sich mit dem Ukrainekrieg schlagartig verändert. Wann immer dieser Krieg endet, Polen und die werden dann vermutlich mit die mächtigsten Streitkräfte Europas haben. Sie bilden den Kern eines neuen Blocks osteuropäischer Staaten, der mit amerikanischer Unterstützung stark ist. Kriege können Allianzen neu definieren, das sehen wir gerade.

Wie gut oder schlecht handhabt der US-Präsident den Ukrainekrieg aus Ihrer Sicht?

Die US-Regierung verfolgt eine Strategie der Eindämmung, sie will den Krieg auf die Ukraine beschränken und keinen direkten Konflikt zwischen und dem Westen. Die amerikanischen Waffenlieferungen zeigen: Einerseits wollen die USA verhindern, dass die Ukraine an Russland fällt. Andererseits werden aber auch nicht entsprechende Systeme geliefert, damit die Ukraine ihr gesamtes Territorium, inklusive der Krim, zurückerobern kann.

Jedes Mal, wenn die Ukrainer in die Defensive gerieten, haben die USA schnell neue Waffen geliefert. Aber jedes Mal, wenn es nach einem entscheidenden Durchbruch der Ukrainer aussah, ist die US-Regierung ein wenig auf die Bremse getreten. Aus meiner Sicht ist dieser Ansatz zu vorsichtig. Die Ukraine könnte dazu verdammt sein, einen ewigen Krieg zu führen, weil sie nicht verlieren und nicht gewinnen kann.

Wie könnte der Krieg enden?

Ein wahrscheinliches Szenario ist, dass der Krieg entlang der aktuellen Fronten einfriert und wir eine Art dauerhafte Pattsituation sehen. Denn der Westen liefert derzeit eben nicht die Waffensysteme, die es der Ukraine ermöglichen, Territorien zurückzuerobern. Die ukrainische Kriegsstrategie ist vollständig vom Westen abhängig. Ab einem bestimmten Punkt könnte es dazu kommen, dass die USA und andere Partner Bewaffnung bereitstellen, mit der die Ukraine die Russen zurückdrängen kann, womöglich sogar auf den Stand der Grenzlinien vor Kriegsbeginn.

Momentan aber drückt sich die US-Regierung davor, ein Szenario für das Ende des Ukrainekriegs zu definieren. Auch weil man keinesfalls gegen die Interessen von Wolodimir Selenski handeln kann. Ziel der US- Regierung ist es, die Ukraine in eine starke Verhandlungsposition zu bringen, wann auch immer diese Gespräche kommen mögen und unter welchen Umständen sie stattfinden. Bis Verhandlungen auch nur ansatzweise realistisch sind, gibt es kein schnelles Szenario für ein Ende des Kriegs.

Erfüllen die USA ihren Führungsanspruch—und wie abhängig ist Europa davon?

Die USA führen ganz klar den Westen an, und das müssen sie auch. Wir haben eine Sicherheitsarchitektur in Europa aufgebaut, und der Ukrainekrieg führt vor Augen, dass es keine strategische Autonomie Europas geben wird. Im Fall von Deutschland überwiegen die Ängste vor einer Eskalation, sodass das Ziel eines Siegs der Ukrainer diesen Ängsten strategisch untergeordnet wird.

Zwar würde ich mir mehr Mut von Berlin wünschen, aber diese Ängste sind nachvollziehbar. Deutschland hat keine Atomwaffen, es ist keine nukleare Supermacht und lebt wie der Rest Europas im Schatten der Nuklearmacht Russland. Es ist die Aufgabe der USA, diese Befürchtungen zu beruhigen.

Wie verlässlich sind die Ukrainehilfen der USA?

Im Verhältnis zum Nutzen geben die USA relativ wenig Geld für die Ukraine aus. Der gesamte Militärhaushalt beträgt knapp 860 Milliarden US-Dollar, davon wurden im vergangenen Jahr rund 25 Milliarden US- Dollar Militärhilfen für die Ukraine ausgegeben. Und dafür haben die USA entscheidend dazu beigetragen, das russische Militär in Schach zu halten. Die Situation ist dynamisch, daher ist die Zukunft der Hilfen unklar.

Ich bin aber optimistisch, dass sie weiterlaufen werden. Die Zahl der Isolationisten ist im Kongress noch immer verhältnismäßig klein.

Allerdings ist es ein Problem, wie Biden mit dem Ukrainekrieg öffentlich umgeht. George W. Bush wandte sich regelmäßig an die Bürgerinnen und Bürger, um für Rückhalt für die Kriege in Afghanistan und im Irak zu werben. Biden scheint nicht die Energie oder das Gespür dafür zu haben.